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Statements: My ITFS






Statements: My ITFS






Die Schrift zum Fest
25 Ausgaben Internationales Trickfilm-Festival Stuttgart sind ein guter Anlass, Klarheit zu schaffen! Angefangen von der eigenartigen Arithmetik des Gründungsdatums 1982 und der 25 Ausgaben bis hin zu den Zahlen und Fakten zu Zuschauer- und Einreichungszahlen. Die TRICKFILM-FESTschrift wurde jedoch nicht vom statistischen Landesamt geschrieben, sondern von vielen Freunden, Partnern und Unterstützern, die über ihre Emotionen und Erfahrungen beim ITFS berichten.

Ulrich Wegenast, Dieter Krauß und Dittmar Lumpp
Die Schrift zum Fest
25 Ausgaben Internationales Trickfilm-Festival Stuttgart sind ein guter Anlass, Klarheit zu schaffen! Angefangen von der eigenartigen Arithmetik des Gründungsdatums 1982 und der 25 Ausgaben bis hin zu den Zahlen und Fakten zu Zuschauer- und Einreichungszahlen. Die TRICKFILM-FESTschrift wurde jedoch nicht vom statistischen Landesamt geschrieben, sondern von vielen Freunden, Partnern und Unterstützern, die über ihre Emotionen und Erfahrungen beim ITFS berichten.
Die TRICKFILM-FESTschrift erhebt demnach keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern will vielmehr die Atmosphäre wiedergeben, die das Festival so sehr auszeichnet – angefangen von den Frühlingsabenden auf dem Schlossplatz vor der großen LED-Wand über den manchmal irrwitzigen Animationssprecherpreis bis hin zu den vielen Begegnungen zwischen Animationskünstlern und dem Stuttgarter Publikum.
Auch wenn wir eine Zeittafel zu den wichtigsten Meilensteinen des ITFS aufgenommen haben, ist die TRICKFILM-FESTschrift kein historischer Abriss, sondern eine Sammlung subjektiver Sichtweisen, die auch die Brüche des Festivals sichtbar machen.
Eines ist die Publikation aber auf alle Fälle: Der Ausdruck einer Erfolgsgeschichte, an der viele Menschen – Mitarbeiter, Animationsfilmer, Sponsoren, Politiker und vor allem die begeisterungsfähigen Zuschauer – mitgewirkt haben. Angefangen von den ersten Schritten im Kommunalen Kino, die der damalige Kunstakademie-Professor Albrecht Ade initiiert hat, über die spannende Zeit im Theaterhaus und Theater im Depot mit Otto Alder und Thomas Basgier über die Ära ab 1994 in der Alten Reithalle, die neben Albrecht Ade vor allem Dittmar Lumpp maßgeblich geprägt hat. Nach der Umwandlung des Trickfilm-Festival-Vereins in die gemeinnützige Film- und Medienfestival Gesellschaft 2000 und einer kurzen Krisensituation im Jahr 2002/3 ging es ab 2006 unter der Ägide von Dittmar Lumpp und Ulrich Wegenast stetig aufwärts – von 40.000 Zuschauern bis zuletzt 90.000 im Jahr 2017, von quasi null Sponsoringeinnahmen im Jahr 2004 auf fast eine Million Sponsoringmittel. Fernab der Statistiken und Zahlen hatte das ITFS inhaltlich immer eine klare Orientierung in Richtung höchsten künstlerischen Anspruchs und dezidierter Nachwuchsförderung bei einer größtmöglichen Offenheit gegenüber anderen Kunstsparten und technologischen Innovationen.
Die TRICKFILM-FESTschrift versammelt sehr unterschiedliche Perspektiven dieser Erfolgsgeschichte und wirft mit zahlreichen Essays zum Animationsfilm auch einen Blick über den Stuttgarter Kesselrand. Im Zentrum der Publikation stehen drei Interviews mit den Machern des ITFS: Nicola Steller im Gespräch mit Albrecht Ade, der Animationsfilmer Jochen Ehmann interviewt Otto Alder und der Journalist Ingmar Volkmann spricht mit Dieter Krauß, Dittmar Lumpp und Ulrich Wegenast über Zukunft und Vergangenheit des Trickfilm-Festivals.
Den zahlreichen Autoren, die witzige und nachdenkliche Texte beigetragen haben, gilt unser großer Dank! Ebenso den vielen Unterstützern der Jubiläumsschrift – insbesondere unseren Gesellschaftern: der Stadt Stuttgart, der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, der Filmakademie Baden-Württemberg und der Stadt Ludwigsburg. Ein herzlicher Dank geht auch an das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg für die großzügige Unterstützung unseres Publikationsvorhabens. Einen besonderen Dank bei der Realisierung der Publikation gebührt der Redakteurin Kerstin Dietz, dem in.fact-Grafikteam und der Agentur netzwerk P. Ein großes Dankeschön gilt auch Dorothea Kaufmann, langjähriger Fan des ITFS, die ihre Trickfilm-Illustrationssammlung beigesteuert hat!
Zum Schluss soll aber auch noch aufgeklärt werden, wieso es zu der eigenartigen Jubiläumsarithmetik von 25 Festivals kommt, obwohl das ITFS bereits 1982 unter dem Namen Stuttgarter Trickfilmtage gegründet wurde. Von 1982 bis 2004 fand das Festival im zweijährigen Turnus statt, ab 2006 dann jährlich.
Die TRICKFILM-FESTschrift ist an ausgewählten Orten in Stuttgart sowie im Onlineshop des ITFS gegen eine Schutzgebühr von 10 Euro erhältlich.
Dieter Krauß
1999–2017 Mitglied der Geschäftsleitung MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, Geschäftsbereich Filmförderung, seit 1.10.2017 Geschäftsführer Organisation & Finanzen Film- und Medienfestival gGmbH
Dittmar Lumpp
bei insgesamt 16 ITFS verantwortlich für Organisation und Finanzen (1994–2000), 2. Vorsitzender des ITFS e.V. (1994–2000), Geschäftsführer Organisation & Finanzen Film- und Medienfestival gGmbH (2006–2017)
Prof. Ulrich Wegenast
seit 2005 Künstlerischer Geschäftsführer der Film- und Medienfestival gGmbH, ab 1993 Programmberater des ITFS


Eine animierte Erfolgsgeschichte
Interview von Ingmar Volkmann mit Dieter Krauß, Dittmar Lumpp und Ulrich Wegenast.
Ingmar Volkman: Herr Krauß, Herr Lumpp, Herr Wegenast, angesichts einer schrecklichen Realität im Jahr 2018, zwischen Trump, Twitter und Heimatminister Horst Seehofer: Brauchen wir das Genre Trickfilm als Gegenentwurf zur Realität dringender denn je?

Interview von Ingmar Volkmann mit Dieter Krauß, Dittmar Lumpp und Ulrich Wegenast
Eine animierte Erfolgsgeschichte
Herr Krauß, Herr Lumpp, Herr Wegenast, angesichts einer schrecklichen Realität im Jahr 2018, zwischen Trump, Twitter und Heimatminister Horst Seehofer: Brauchen wir das Genre Trickfilm als Gegenentwurf zur Realität dringender denn je?
Ulrich Wegenast: Das Genre Trickfilm ist nicht so, dass es immer nur den Guten zupasskommt. Animation ist aber ein sehr starkes, ein sehr plakatives Medium, das als Gegenentwurf funktionieren kann.
Ist das Genre politischer geworden, weil wir in unruhigen Zeiten leben?
Ulrich Wegenast: Auf jeden Fall. Eine Politisierung des Trickfilms sehen wir etwa in der arabischen Welt, wo plötzlich politische Trickfilme produziert werden und es vorher nur Kinderfilme gab.
Weg vom Politischen, hin zur Entwicklung des ITFS. Die wichtigste Verhaltensregel im Schwäbischen lautet „Nicht gemotzt ist genug gelobt“. Um es in diesem Geist zu sagen: Das ITFS hat sich seit 2005 ganz ordentlich entwickelt, oder?
Dieter Krauß: Diese Frage sollte kein Schwabe beantworten.
Ulrich Wegenast: Deshalb lassen wir Dittmar Lumpp, den Lebenskünstler aus Baden sprechen.
Dittmar Lumpp: Das ITFS hat sich in der Zeit nicht nur ordentlich entwickelt, es hat in allen Bereichen ein vollkommen neues Level erreicht. Gemeinsam mit seinen Partnerveranstaltungen, der International Conference on Animation, Effects, VR, Games and Transmedia (FMX) und dem Animation Production Day (APD) ist das ITFS heute eines der wichtigsten Animationsfestivals der Welt. Das sieht man unter anderem an der Verdoppelung der Zuschauerzahlen auf heute rund 90.000, am Open Air auf dem Schlossplatz, den vielen neuen Programmformaten und am großen Erfolg im Bereich Fundraising, der dieses Wachstum erst ermöglicht hat.
Wie konnte es so weit kommen?
Dittmar Lumpp: Bei aller Lust am Machen und Ermöglichen steht hinter dieser Entwicklung vor allem viel, viel Arbeit
aller Beteiligten.
Ulrich Wegenast: Dittmar und ich sind 2005 als Doppelspitze mit klaren Zielen angetreten: Ein zentraler Punkt war,
vom zweijährigen Turnus auf den einjährigen umzusteigen. Außerdem wollten wir von der Alten Reithalle beim Maritim ins Zentrum. Dazu gab es von Anfang an die Idee einer inhaltlichen Öffnung.
Dieter Krauß: Für den Erfolg des ITFS war die engere Anbindung an die FMX ebenfalls entscheidend. Im internationalen Standortmarketing ist das ein ganz entscheidender Gesichtspunkt.
Ab wann war zu spüren, dass alle kühnen Pläne aufgehen können?
Dittmar Lumpp: Als wir mit der großen Tageslichtleinwand auf die Mitte des Schlossplatzes vorgerückt sind. Das war der Break-even: Ab dem Moment hat man uns geglaubt, dass wir das können.
Wie schwierig war es in einer Region wie Stuttgart, die sich durch eine schrecklich hohe Ingenieursdichte auszeichnet, Partner zu gewinnen, um Ihre Pläne zu finanzieren?
Dittmar Lumpp: Anfangs, also im Jahr 2006, mussten wir selbst erst unseren Weg finden. Unser Ansatz war dann der, dass wir mit jedem Partner etwas machen, was uns inhaltlich verbindet und beiden Seiten nützt. Beispiel Breuninger: Wir spielen auf deren Fassade etwas, was uns als Festival weiterbringt. Gleichzeitig bringt es dem Partner eine größere Aufmerksamkeit.
War es mit der Trumpfkarte Schlossplatz leichter, Sponsoren anzusprechen?
Dittmar Lumpp: Ab dem Moment war der Erfolg des Festivals für alle sichtbar. Heute deckt das Festival rund 65 Prozent seiner Ausgaben mit diesen Mitteln.
Ulrich Wegenast: Wenn man etwas trotz Widerständen gemeinsam verwirklichen kann, macht die Arbeit am meisten Spaß. Als wir zum Beispiel die Schlossplatz-Pläne angekündigt haben, hat man uns schon für ein bisschen „Balla Balla“ gehalten.
Stichwort „Balla Balla“: Wie viele blutige Nasen haben Sie sich auf dem Weg zum Schlossplatz geholt?
Ulrich Wegenast: Da müssen Sie Dittmar fragen.
Dieter Krauß: Seine Nase sieht aber in Ordnung aus.
Dittmar Lumpp: Die Hüter dieses Platzes sind bekannt für ihre sehr eigenwillige Sicht auf die Dinge des Lebens. Inzwischen werden wir aber von denen, die uns anfangs am kritischsten gegenüberstanden, als Musterbeispiel für die Nutzung des Platzes genannt.
Das Besondere an Ihrer Struktur ist die Doppelspitze. Herr Wegenast: Wie oft wollten Sie Herrn Lumpp an den Kragen, weil er das Geld für Ihre künstlerischen Pläne nicht lockermachen wollte?
Ulrich Wegenast: Wir werden von vielen als positives Beispiel einer Doppelspitze gesehen. Das hat auch mit gegenseitigem Respekt vor dem Know-how des Anderen zu tun. Dass wir uns dabei öfter mal gerieben haben, ist bekannt. Wir haben das aber immer produktiv genutzt: Als kaufmännischer Leiter darfst du nicht sagen „Das Programm ist mein Feind“. Es geht aber auch nicht, dass das Programm sagt, das machen wir jetzt einfach und Ihr guckt dann mal, wie Ihr es umsetzt.
Jetzt haben Sie die große Chance, nachzutreten, Herr Lumpp. Wann hat Herr Wegenast zu viel gefordert?
Dittmar Lumpp: Diesen Moment gab es nicht. Wir hatten gemeinsam Spaß am zunehmenden Erfolg unserer Arbeit. Ulis Vater war Steuerberater, von daher hat er ein grundsätzliches Verständnis für wirtschaftliche Abläufe. Außerdem hatten wir eine Regel: Wenn einer den Finger hebt und sagt, damit habe ich ein Problem, dann wird das nicht übergangen.
Zurück in die Urzeit von 1982 bis 2004. Wie wichtig war Albrecht Ade für das ITFS?
Dittmar Lumpp: Er war die zentrale Figur des Festivals seit seiner Gründung bis in die Mitte der 2000er Jahre hinein. Ohne sein Gespür für den künstlerischen Animationsfilm und sein Geschick im Umgang mit dem politischen Umfeld wäre die spätere Entwicklung nicht möglich gewesen.
Ulrich Wegenast: Wir konnten auf dem aufbauen, was da war. Albrecht Ade war mit weit über 80 Jahren noch an der Vorauswahl der Filme beteiligt. Auch in seiner Rolle als künstlerischer Leiter hat er manche meiner Programmideen kritisiert, aber einem trotzdem immer Freiheiten gelassen. Gabriele Röthemeyer übrigens genauso. Diese Rückendeckung, begleitet von kritischer Kommentierung, hat es ausgemacht.
Herr Lumpp, wie wichtig war der Animation Production Day (APD) für die wirtschaftliche Entwicklung
des Festivals?
Dittmar Lumpp: Der APD hat sich zum zweiten großen Standbein des ITFS entwickelt. Stuttgart wurde in dem Bereich zum wichtigsten Branchentreff für die Realisierung von Animationsprojekten in Deutschland. Der ursprüngliche Gedanke hinter dem APD war, ein Angebot für die wirtschaftlichen Vertreter der Branche zu schaffen, um die wichtigste Aufgabe eines Festivals zu erfüllen: Kommunikation ermöglichen.
Ulrich Wegenast: An dem Punkt muss man den leider vor kurzem verstorbenen Michael Schmetz erwähnen, der das Thema APD entscheidend mit aufgebaut hat.
Dittmar Lumpp: Absolut. Eigentlich müsste man ohnehin noch viele Namen mehr aus unseren Teams nennen, denn: Nur die Leidenschaft unserer Mitarbeiter ermöglicht die Kombination der drei Formate Publikumsfestival, FMX und APD. Diese Formate sprechen jeweils ein unterschiedliches Zielpublikum an, sie bedingen sich aber auch wechselseitig, und das ist das Entscheidende! Der Visual-Effects-Fachmann aus Los Angeles erlebt den märchenhaften Schlossplatz, technische Entwicklungen und die Nähe zu potentiellen Produzenten in einem Radius von 200 Metern. Und dabei kriegt er auch noch nach 1 Uhr morgens etwas zu trinken.
Und das in Stuttgart! Was waren die Highlights Ihrer ITFS-Geschichte?
Ulrich Wegenast: Die besonderen Formate. Die Schnittstellen zur Musik, bei denen man die Spannung des Live-Moments ins Festival integrieren konnte.
Dittmar Lumpp: Die Live-Übertragung von Rigoletto, aus dem Opernhaus raus auf den Schlossplatz, für 3.000 Leute, das war besonders. Ich weiß aber auch noch, wie es 1994 war, in der analogen Welt: Da gab es ganz viele praktische Probleme, die man lösen musste, ehe man einen Film zeigen konnte. Und das war immer unser Anspruch: Egal was wir an Highlights leisten, letztendlich muss die möglichst perfekte Projektion der aus aller Welt eingereichten Animationsfilme im Kino im Zentrum stehen.
Und was war die größte Katastrophe in Ihrer ITFS-Zeit?
Ulrich Wegenast: Der Amoklauf von Winnenden. Im ITFS-Trailer wurde Paintball ironisiert. Da wurde das Festival in Sippenhaft genommen.
Dittmar Lumpp: Uns wurde aufoktroyiert, den Trailer nicht zu zeigen. Das erschüttert einen heute noch, weil wir
uns da vollkommen falsch verstanden gefühlt haben. Außerdem hat das Festival Schaden genommen.
Das Thema Games war danach fünf Jahre lang verloren.
Stichwort Jahre: Wie viele Filme haben Sie in Ihren ITFS-Jahren bisher sehen dürfen oder manchmal auch müssen, Herr Wegenast?
Ulrich Wegenast: Bis heute dürften das 20.000 Filme gewesen sein. Am Anfang auf 16 Millimeter-Filmen, dann auf runtergenudelten VHS-Kassetten und schließlich auf gebrannten DVDs, die nicht funktioniert haben. Da hat unser digitales Uploadsystem den Prozess ungemein beschleunigt.
Frage an das neue Führungsduo: Wie muss sich das ITFS weiter entwickeln?
Ulrich Wegenast: Für die Entwicklung ist es ideal, dass wir die Doppelspitze, den Dialog, fortführen.
Dieter Krauß: Nur so kann es funktionieren. Die große Herausforderung für die Zukunft ist natürlich der Personalwechsel. Jetzt komme ich von außen in das Zweier-Team. Da stellt sich die Frage: Wie kann man das Erreichte absichern, aber auch weiter drehen? In meiner Kinoarbeit habe ich immer Grenzen überschritten, das passt zum Festival. In meinen 25 Jahren bei einer Bank, größtenteils in der Firmenkundenbetreuung, war immer mein Ziel, dass bei Geschäftsabschlüssen beide Seiten von einer Partnerschaft profitieren. So soll es auch künftig bei den zahlreichen Kooperationen zur Finanzierung des ITFS sein.
Gibt es einen Traum, den Sie bisher noch nicht realisieren konnten, Herr Wegenast?
Ulrich Wegenast: Ja. Mit vier LEDs die Jubiläumssäule auf dem Schlossplatz umbauen, die dann wie ein Lagerfeuer sein wird, mit 10.000 Gästen auf jeder Seite: Am Ende schauen die Leute nicht nur die Filme an, sondern sich gegenseitig.
Herr Lumpp, haben Sie Angst vor der Langeweile, wenn Sie Ulis Lagerfeuerromantik so hören?
Dittmar Lumpp: Langeweile kenne ich eigentlich eher nicht. Ich bin ganz entspannt und vor allem neugierig auf die weitere Festival-Entwicklung: Man hat hier eine gute neue Konstellation. Deshalb freue ich mich auch schon auf mindestens 25 weitere Ausgaben des ITFS.
Die Fragen stellte Ingmar Volkmann, Titel-Autor der Stuttgarter Zeitung und 1998 zum 1. Mal auf dem ITFS.
Sein Bruder arbeitete damals für eine Schweizer Postproduktionsfirma und nahm ihn mit ins legendäre Spiegelzelt.
Zwischen Schwyzerdütsch, Kunstfilm und Party wurde Ingmar Volkmann zum ITFS-Ultra.
„Die Animationsfilmer aus aller Welt kamen zu uns.“
Interview von Nicola Steller mit ITFS-Gründer Prof. Albrecht Ade.
Nicola Steller: Herr Professor Ade, wie entstand Ihr Interesse am künstlerischen Animationsfilm?
Professor Ade: Lassen Sie mich mit einem etwas theoretischen Gedanken einsteigen: Was ist denn Trickfilm? Die Reproduktion der Bewegung hat von jeher fasziniert, sie fasziniert uns in der Gegenwart noch immer. Das Medium bietet ein globales Transportmittel für Ideen und Inhalte, für die visuelle und verbale Kommunikation. Innen und Außen müssen dabei identisch werden, also zunächst sieht man es im Kopf, später sieht man es auf der Leinwand.
„Die Animationsfilmer aus aller Welt kamen zu uns.“

Interview von Nicola Steller mit ITFS-Gründer Prof. Albrecht Ade.
Herr Professor Ade, wie entstand Ihr Interesse am künstlerischen Animationsfilm?
Lassen Sie mich mit einem etwas theoretischen Gedanken einsteigen: Was ist denn Trickfilm? Die Reproduktion der Bewegung hat von jeher fasziniert, sie fasziniert uns in der Gegenwart noch immer. Das Medium bietet ein globales Transportmittel für Ideen und Inhalte, für die visuelle und verbale Kommunikation. Innen und Außen müssen dabei identisch werden, also zunächst sieht man es im Kopf, später sieht man es auf der Leinwand.
Klingt kreativ!
Aber der Trickfilm hat sein Potential lange Zeit nicht ausgeschöpft. Vor 1980 gab es nur wenige und fast keine guten Trickfilme. Man musste alles neu erfinden. In Deutschland steckte der Trickfilm damals im Korsett des Kinderfilms, es gab nichts anderes als Disney und Mickey Mouse.
Eine beim Publikum sehr beliebte Figur…
Deshalb wollte ich die Mickey Mouse schlachten! 1962 ging ich an die Werkkunstschule in Wuppertal, als 36-jähriger Dozent für Grafik-Design habe ich dann die Wirren der 68er Zeit erlebt. Sie brachte die totale Infragestellung der Lehrtraditionen für Grafik-Design mit sich. Der Wind stand auf Veränderung. In diesem anarchischen Zustand, in dem die Schule steckte, waren Alternativen sehr gefragt. Die logische Weiterentwicklung führte vom Printbild zum Bewegtbild, vom Grafik-Design zum Trickfilm.
Gab es dafür Impulse von außen?
Ich kannte bereits die Prager Trickfilme. Mit Olaf Leu, Gastdozent an der Wuppertaler Werkkunstschule, hatte ich die Verbindung hergestellt. Ich gründete eine Arbeitsgruppe Experimenteller Film und stellte meinem Exposé – damals politisch korrekt – ein Zitat von Adorno und Horkheimer voran: „Die Trickfilme waren einmal Exponenten der Phantasie gegen den Rationalismus… Heute bestätigen sie bloß noch den Sieg der technologischen Vernunft über die Wahrheit.“ Die Lust am filmischen Experimentieren eröffnete zugleich die Chance zur Druckabführung in den Gräben der Studentenrevolte, das war therapeutisch. Man feierte damit neue Formen des Lehrens. Ich hatte zwar in Köln ein Gaststudium an der Soziologischen Fakultät über Massenkommunikation belegt, die politischen Diskussionen trafen mich daher nicht mit voller Wucht. Aber als Dozent stand ich doch auf der anderen Seite. Es war schließlich die Zeit, in der man zu Beginn einer Vorlesung abstimmen musste, ob es um die Konkurrenz von Gutenberg und Lumière gehen sollte, also um Printbild und Bewegtbild – oder ob man lieber gemeinsam in der Maobibel lesen wollte…
Trotzdem man hat sich für Trickfilm begeistern lassen?
Ja, allerdings war der Trickfilm damals total abhängig von den technischen Werkzeugen und ihren Beschränkungen. Die Herstellung verlangte einen immensen Arbeitsaufwand, nach der Formel: Eine Sekunde gleich 24 Bilder, mal 60 für eine Minute Film ergibt 1.440 Bilder. Das bremste die Begeisterung etwas, denn die „68er“ waren zu ungeduldig für die Langsamkeit des Trickfilms, man wollte lieber Revolution.
Und in Stuttgart?
1976 erhielt ich die Berufung an die Kunstakademie in Stuttgart mit der Order, Print- und Bewegtbild – Grafik-Design und Trickfilm – zu lehren. Mit den in Wuppertal gewonnenen Erfahrungen baute ich in Stuttgart die Arbeitsgruppe Animationsfilm – „Animation im Süden“ – auf.
Herr Ade, das war die Brücke zum Trickfilm-Festival: Wie kam es 1982 zur Gründung?
Zuerst einmal, die Idee des ITFS war nicht primär ein Veranstaltungskonzept. Sie ist als Produktionskonzept entstanden, als Filmemacher-Konzept. Keimzelle des ITFS war sicherlich die Lehre an der Kunstakademie. In der Animationsklasse an der Kunstakademie Stuttgart haben wir uns gefragt: Was können wir mit diesen Filmen machen? Einzelne Vorführungen hatten schon gezeigt, dass Empathie da war beim Testpublikum. Aber wer 1980 Trickfilme machte, stand vor einer Wand aus Vorurteilen. In einer Vorstandssitzung des Kommunalen Kinos konnte ich den Vorstand Claus Huebner davon überzeugen, man solle an einigen Tagen die Trickfilme der Kunstakademie zusammen mit anderen möglichst auch internationalen Schulen im Kommunalen Kino zeigen. Das Kommunale Kino war bereit, die Kosten von 15.000 DM zu leisten.
Moment ‘mal – wie kamen Sie als Dozent an der Kunstakademie in den Vorstand des Kommunalen Kinos?
Zum einen hatte das Wissenschaftsministerium die für mich seltsame Idee beigesteuert, die Filmproduktion der Kunstakademie-Studierenden über das Kommunale Kino zu finanzieren – und zu kontrollieren. Nolens volens ging ich also in den Vorstand des Kommunalen Kinos, um das Kino als Abspielort für unsere Filme und für den Festival-Versuch zu gewinnen. Zum anderen hatte das Kommunale Kino durch Hans-Otto Borchers, seinen Geschäftsführer, Kontakte zu anderen deutschen und internationalen Trickfilmern, die sich über das Interesse freuten: Sie hatten praktisch nirgends ein Podium für ihre Filme. Jetzt bekamen sie eins.
Im Kommunalen Kino?
Spielstätte des Kommunalen Kinos war der Kinosaal des Planetariums. Der war mit seinen 172 Plätzen für die Startphase einer solchen Filmschau gut geeignet. Der Landespavillon direkt daneben – inzwischen für Stuttgart 21 abgerissen – kam auf 70 Sitzplätze, er diente als Ort für Empfänge, für die Making-Of-Ausstellungen und für die Kommunikation unter den Gästen. Die Schau im Planetarium und die Ausstellungen nebenan waren der Nukleus des Trickfilm-Festivals.
Wer war das erste Publikum?
Unser Zielpublikum waren Studenten. Es war aber durchaus nicht sicher, sondern ein Wagnis. Ob es ein Publikumsinteresse für Trickfilme im damals wenig populären Kino geben würde, lag im Nebel! Das Interesse musste überhaupt erst geweckt werden. Wir hatten keinen Werbeetat, in Stuttgart gab es außerdem bereits ein beachtliches Kulturangebot und viele Kinos. Wertvoll war daher die Unterstützung durch die Stuttgarter Presse. Anders als in Wuppertal hatte ich in Stuttgart anfangs keine Technik. An der Kunstakademie herrschten anarchische Zustände. Es gab Tutoren unter falschem Namen – radikale Verhältnisse kurz vor dem Deutschen Herbst. Die Kunstakademie musste zunächst Anträge beim Ministerium stellen für eine Basisausstattung. Ich konnte dann ab 1980 dank der Unterstützung durch das Wissenschaftsministerium Trickfilme produzieren, um überhaupt einen Filmpool aufzubauen. Stoff genug hatten wir erst 1982 gesammelt. Unverzichtbar waren schon in dieser Phase die internationalen Kontakte.
Welche Länder waren zu dieser Zeit führend beim künstlerischen Animationsfilm?
Eigentlich müsste man fragen: Welche Künstler und welche Städte? In England war das die Schule von Ray Fields, den ich sehr schätzte. Bei einem Besuch in London 1978, bei dem ich Gelegenheit hatte, eine Auswahl englischer Trickfilme zu sehen, notierte ich mir: „Liverpool is the best.“ 1982 war ich sehr erfreut, dass die Schule von Ray Fields einige Filme zu den 1. Internationalen Stuttgarter Trickfilmtagen eingesandt hatte. Die internationale Jury hatte dann auch Jonathan Hodgson, einem Liverpooler Absolventen, den Kodak-Preis für seinen Film „Dogs“ zuerkannt.
Was war an „Dogs“ Besonderes?
Dieser Film, der in seiner Dramaturgie, in der Animation und in der Zeichnung einen völlig neuen Weg geht, zeigt in wenigen Minuten, wie entschieden in Liverpool neue spezifische Entwicklungen im Trickfilm forciert wurden. Ray Fields und sein Liverpooler Studentenkreis waren über viele Jahre Stammgäste des ITFS. Der Fields‘sche Klassenstil hatte hohe filmische Qualität. Er war für mich und meine individualistischen Studierenden ein erfahrungsreicher Gegensatz.
Wen gab es noch, außer England?
Schon 1967 lernte ich den Prager Designer Zdenek Ziegler kennen, ein exzellenter Gestalter von Film-plakaten, der außerdem gut deutsch sprach. Er wollte hinter den Kapitalismus blicken, mich interessierte der reale Sozialismus. Wir begründeten eine 50-jährige Freundschaft, und mir brachte das außerdem sieben Jahre, in denen ich die Entwicklung des berühmten Prager Trickfilms aus nächster Nähe beobachten konnte. Zdenek Ziegler war mein Türöffner bei den berühmten Prager Kratky-Studios.
Was war an den Prager Filmen so besonders?
Sie waren geistreich, witzig, oppositionell zur sozialistischen Realität, und sie entsprangen einer nicht politisch fassbaren Verschlagenheit in der Tradition von Schwejk…
… der „brave Soldat Schwejk“?
Genau der. Ihr künstlerischer Stil war völlig frei von der Disney-Verseuchung. Sie machten sich inhaltlich lustig über ihre Zensur-Apparatschiks. Und wenn diese merkten, was gespielt wurde, fühlten die sich geehrt, weil Prager Filme öfters große Preise auf Festivals erhielten, was dann als sozialistischer Sieg gefeiert wurde.
Das ging also klar über Kinderfilm hinaus …
Die Prager Filme haben den Beweis geliefert, dass der künstlerische Trickfilm sehr wohl in der Lage war, ein internationales Erwachsenenpublikum zwei Stunden lang zu faszinieren – mit Witz, Satire und schwarzem Humor. Die Animationskunst wurde zur Filmkunst, sie nahm sich als Thema die Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz vor.
Gab es weitere internationale Anknüpfungspunkte?
Ich habe immer versucht, Leute kennenzulernen, ich war ein Netzwerker! Kontakte zu Experten von außerhalb waren immens wichtig. Deshalb habe ich das System der Lehrbeauftragungen eingeführt. Es gab im Laufe der Zeit eine regelrechte Vernetzung der Stützpunkte durch internationale Freundschaften und Lehrbeauftragte.
Wer kam in dieser Zeit nach Stuttgart an die Kunstakademie und an das ITFS?
Zum Beispiel kam aus London Joanna Quinn, eine witzige und bissige Cartoonistin. Aus Prag kam Jiří Šalamoun, einer der Besten des Prager Stils. Aus den USA Bill Plympton, mit schärfster angelsächsischer Satire. Aus Hamburg Jochen Kuhn, ein ironischer Geschichten-Erzähler, mit seltenem malerischem Duktus. Aus Gent Raoul Servais, ein Surrealist belgischer Prägung. Aus Lodz in Polen Piotr Dumała, mit geheimnisvollen alten Techniken. Aus Moskau Fjodor Chitruk, mit der Tradition der russischen Märchenillustration. Aus Tel Aviv Gil Alkabetz, mit dem politischen israelischen Trickfilm. Und darüber hinaus noch viele andere.
Was hat das bewirkt?
Sie alle waren unsere Botschafter in ihren Ländern. Sie brachten ihre Ideen, Stile und Techniken mit und erweiterten das abrufbare filmische Lexikon der Studierenden und Festval-Besucher. Es war eine Versammlung der Trickfilmer der Welt. Und später, als das Trickfilmfestival in Stuttgart Boden gewann, erzählten sie ihren Kollegen in ihren Heimatstädten von der Stadt der Hügel, in der die Weinberge in die Häuser hineinwachsen, und von der besonderen künstlerischen Qualität des Stuttgarter Trickfilm-Festivals.
Aber in Deutschland wurde Trickfilm noch nicht ernstgenommen?
Nein, Trickfilm war für Kinder oder kindliche Erwachsene. Da kämpften knollennasige Männchen gegen die Tücke des Objekts. Eine Schublade, aus der man nicht so leicht herauskam …
Auch nicht innerhalb der Kunstakademie?
Anfangs in diesem visuellen Prozess, den ich und die Studierenden als Suche nach dem eigenen Weg und persönlichen Stil verstanden, war es fast aussichtslos, den zuvörderst visuell orientierten Augenmenschen der Kunstakademie das Janusköpfige des Trickfilms beizubringen: Denn, Film ist Bild und Inhalt, Bild und Sprache, oder beim Trickfilm, der non-verbal sein kann, Bild und Story-Inhalt.
Wie haben Sie es trotzdem geschafft?
Um Zuschauer für die Filme der Ade-Klasse zu gewinnen, galt es zuerst einmal, die Produktion zu öffnen, freies individuelles Zeichnen und Malen zu entwickeln und Collage- und Montagetechniken mit einzubeziehen. Das war angesagt. Es ging um nichts weniger, als das Genre Trickfilm aus seiner formalen und intellektuellen Enge zu befreien; eine eigene Basis zu schaffen durch das Aufbrechen bestehender Strukturen, durch die Suche nach bis jetzt Ungesagtem. Diese Idee hat sich ihren Weg gesucht. Ich wollte sie öffentlich machen, deshalb brauchten wir ein Festival! Und für ein zu gründendes Festival brauchten wir eine Spielstätte mit entsprechender Technik oder ein kleines Kino. Aber der Trickfilm hatte damals noch nicht das Image, mit dem man einen Stuttgarter Kino-Besitzer verführen konnte, das Experiment zu wagen, eine Woche lang unbekannte Trickfilme zu zeigen und damit in der damals herrschenden Kinokrise die Kinokasse zu füllen. Es blieb einzig das Kommunale Kino mit seinem Saal im Planetarium mit 172 Sitzplätzen.
Wodurch hat das ITFS schließlich Fahrt aufgenommen?
Schon 1984 und 1986 zeigte sich, dass das Platzangebot nicht ausreichte. Das Festival hatte Sex-Appeal, es zog Fans an, nicht mehr nur Studenten und Fachleute. Was ursprünglich für Studenten konzipiert war, konnte sein Zielpublikum erweitern – aber dafür mussten wir zuerst einen größeren Standort finden. Erst 1988 eröffnete sich eine Perspektive für einen alternativen Abspielstandort: Die ehemalige Reithalle im Bosch-Areal mit ihren 800 Plätzen. Für uns war sie ideal – allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, wie stark die Halle ins Nutzungskonzept des Hotels Maritim eingebunden sein sollte.
Trotzdem gelang mit der Reithalle 1988 der Durchbruch: Hätten Sie es für möglich gehalten, dass aus Stuttgart tatsächlich eines der größten Animationsfilm-Festivals der Welt werden könnte?
Erst mal natürlich nicht. Später konnte ich mir das vorstellen! Das Festival 1988 erhielt 450 Einreichungen aus allen wichtigen Trickfilmländern der Welt. Durch den freundschaftlichen Kontakt mit Fedor Chitruk, Doyen des russischen Trickfilms und damit wichtiger Meinungsmacher für den ganzen Ostblock, war es gelungen, die sozialistischen Filmländer des Ostens aufzuschließen. Auch die ASIFA, der internationale Animationsfilmverband, sprach sich danach für eine Beteiligung seiner Mitglieder aus. Den Präsidenten der ASIFA, Professor Raoul Servais, hatte ich in Gent kennengelernt, bei der Eröffnung der Ausstellung „Junger Trickfilm in der Bundesrepublik Deutschland“.
Wer hatte diese Ausstellung organisiert?
Veranstalter war das IFA, Institut für Auslandsbeziehungen. Damit waren die Türen geöffnet für die Internationalisierung des Festivals. Die offenen Türen für 26 Länder und die Verlagerung in die Alte Reithalle mit rund 800 Sitzplätzen – gegenüber 172 im Kommunalen Kino – waren für die Szene eine kleine Sensation. Dass vor der Eröffnung des Festivals ein großes Fragezeichen über dem neuen Standort hing: „Werden wir die Reihen füllen können?“, löste sich spätestens bei der Premiere und bei den internationalen Wettbewerben in Wohlgefallen auf.
Also war die Reithalle sofort voll?
Wir spielten 1988 in der Hauptsache vor vollem Haus. Und die Presse spielte begeistert mit. Ruprecht Skasa-Weiß animierte die Kulturseiten der Stuttgarter Presse.
Insgesamt ein anderes Klima in Stuttgart?
Es hatte sich eine neue lokalpatriotische Szene herausgebildet, das Festival war plötzlich „in“. Die Stuttgarter Fische schwammen jetzt im internationalen Wasser. Als Ordnungsfaktor erwies sich das Auffächern des Programms in die Sektionen Internationaler Wettbewerb, Young Animation – kuratiert von Uli Wegenast – , Panorama, Studiopräsentationen. Damit war es möglich, neue Spielorte im Umfeld des Bosch-Areals anzupeilen. Die Programmauswahl-Jury brachte ein exzellentes, überraschendes und vielfältiges Programm auf die große Leinwand. Auch die Organisation von Otto Alder und seiner Crew in der Technik, der Betreuung der Besucher und Gäste hat viel beigetragen.
Welche künstlerischen Akzente haben Sie gesetzt?
Anfangs war meine Motivation eine rein künstlerische. An der Kunstakademie sind in meiner Klasse in der Zeit von 1982 bis 1989 rund 40 Trickfilme unter meiner Leitung entstanden, von denen ich der Meinung bin, dass sie künstlerisch wertvoll sind. Das bedeutet: Sie sind gut in der Dramaturgie, der bildlichen Darstellung, der Animationstechnik. Sie haben einen einwandfreien Ton. Der Text, die Sprache haben eine adäquate Verbindung zum animierten Bild. Es sind kleine Gesamtkunstwerke.
Galt das für alle produzierten Filme?
Insgesamt sind in dieser Zeit auch ungefähr 60 Trickfilme entstanden, die nie öffentlich gezeigt wurden. Die Entscheidung des Ja oder Nein konnte nur künstlerisch erfolgen und unter Berücksichtigung aller Teile des Werks. Dies war das Muster für die Bewertung eines Kunstakademie-Films. Lehrende sind aber auch nicht unfehlbar, deshalb muss man die Studierenden als Macher der Werke bei den Entscheidungen als Korrektiv beteiligen.
Wie haben Sie die Filme für das Festival ausgewählt?
Übertragen auf die Auswahl der rund 450 eingesandten Filme für das Programm des internationalen Wettbewerbs 1988 – die tragende Säule des ITFS – heißt das, die Auswahl der 53 Wettbewerbsfilme erfolgte ähnlich wie im oben skizzierten Modell. Allerdings standen dem Leiter des ITFS in diesem Fall drei qualifizierte Trickfilmer zur Seite, die vor allem auch die Belange der Einsender zu vertreten hatten. Die Auswahl für den internationalen Wettbewerb erforderte viel Erfahrung. Denn davon hing vor allem in der Anfangsphase Erfolg oder Misserfolg ab.
Filme waren aber schon damals nicht alles – was hatte das ITFS darüber hinaus zu bieten?
Einblicke in die Gestaltung und Produktion von Trickfilmen konnten das Stuttgarter Publikum und die internationalen Gäste auch durch die zwei Trickfilm-Ausstellungen bekommen: Im Landespavillon zeigten wir Prager Trickfilm-Modelle, Zeichnungen, Collagen und Montagen. Es war eine Show, die wegführte von den konventionellen Mustern der europäischen und amerikanischen Trickfilme der 50er, 60er und 70er Jahre. Viele Impulse, die den Animationsfilm aus dem Genre des Klamauk-, Werbe- und Kinderfilms herausführten, kamen aus der Welt des böhmischen Puppentheaters und seiner Nähe zur literarischen Tradition von Kafka, Kohout, Schwejk und Vaclav Havel.
Das waren die Prager Filme – und was gab es noch zu sehen?
Im goldenen Hirsch, dem Kunstgebäude der Stadt Stuttgart, präsentierten wir die großen Mondstadt-modelle, die Roland Emmerich für seinen Film Moon 44 von Volker Engel, Absolvent der Animationsklasse der Kunstakademie Stuttgart, bauen ließ: Das war etwas Neues, richtige große Plastiken, eine regelrechte Modell-Landschaft. Im Bewusstsein der Stuttgarter Bürger wuchs so die Kenntnis des Animationsfilms als künstlerisches Medium. Und gerade bei Emmerich war man überrascht, dass seine erfolgreichen Animations-filme aus Stuttgarter Sicht fast im Verborgenen geblüht hatten.
Kaum vorstellbar: Roland Emmerich, damals noch fast unbekannt…
Später gingen beide als Pioniere der Computeranimation und der Visual Effects nach Hollywood und produzierten dort mit zwölf Studenten der Filmakademie den Film Independence Day – für die Visual Effects bekam Volker Engel 1997 den Oscar.
Das Internationale Trickfilm-Festival 1988 wurde zum Grundstein für die Filmakademie.
Wie kam das zustande?
Das Festival 1988 führte mich auch zum Begriff des Medienstandorts zurück. Den hatte mir bei einer Veranstaltung in Ulm Ministerpräsident Lothar Späth nahegelegt, er sagte: „Wir brauchen die Medien, weil sie durch ihre Doppelstruktur von Kunst und Kommunikation auch wirtschaftlich sehr interessant sind.“ Während des Festivals traute ich mich zu formulieren: Stuttgart ist kein Medien-Standort, es kann aber einer werden – wenn wir weitermachen können.
Trickfilm als Antrieb für die Wirtschaft?
Nachdem die Stuttgarter Presse das Thema entdeckt hatte, waren auch die dafür Verantwortlichen im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst der Meinung, man sollte über das provokante Thema einmal reden.
Wer hat im Ministerium diese Entwicklung befördert?
Insbesondere Dr. Manfred Erhardt, Direktor des Ministeriums, und Dr. Klaus Bessey, sein Medienreferent. Beide kamen zur Eröffnung des Festivals 1988. Dr. Bessey hatte das aufkeimende ITFS schon seit Jahren wohlwollend beobachtet. In einem folgenden Gespräch wurden mögliche Ziele für die Entwicklung eines Medienstandorts skizziert: Erstens, das Filminstitut in Ulm ist nach dem neuen Bericht des Rechnungshofs nicht zu halten. Um es zu retten, sollte man es an eine Hochschule anschließen. Zweitens, das bereits existente Konzept für ein Animationsinstitut an der Kunstakademie ist im Senat der Kunstakademie auf Bedenken gestoßen, weil man damit den vorhandenen Raummangel multiplizieren würde. Außerdem wäre man sich nicht darüber einig, ob eine Erweiterung über die Klasse Ade hinaus zu integrieren wäre. Drittens war Dr. Erhardt der Meinung, dass man trotzdem weiterdenken müsste. In Baden-Württemberg werde seit Jahren darüber nachgedacht, wie man die Erkenntnisse aus dem Basler Prognos-Gutachten umsetzen könnte. Es wurde dort auf das Detroit-Syndrom und die monostrukturelle Ausrichtung der Industrie hingewiesen. Schließlich viertens, das ITFS könnte zu einer Probebühne für den Medienstandort ausgebaut werden.
Probebühne: Das müssen Sie bitte näher erläutern!
Wie kann man die Synergien des ITFS nutzen? Das ITFS ist ein Abspieltempel und Lernraum…
... im Gegensatz zur Produktion?
Es ist kein Produktionsbetrieb und kein Ausbildungsbetrieb. Für einen Medienstandort aber braucht man qualifiziertes Personal. Wir haben den zweiten Schritt vor dem ersten getan – wenn man von der Klasse Ade absieht, die eine Produktionsklasse im bescheidenen Rahmen für eine größere Idee war. Wenn wir den Medienstandort im Auge behalten wollten, brauchten wir ein Institut, in dem Fachpersonal für die Filmproduktion ausgebildet wird. Also Drehbuchautoren, Regisseure, Kameraleute, Fachleute für Animation und Visual Effects, für Computeranimation und Tonbearbeitung.
Die Digitalisierung lag schon in der Luft?
Im Forschungsprojekt „Computeranimation in der Filmproduktion“, das an der Kunstakademie durchgeführt wurde, hatte sich gezeigt: Durch die Digitalisierung werden sich alle Produktionsarten in den nächsten zehn Jahren vollständig verändern. Klar war, auch für das ITFS wird dies eine immense Wende bedeuten. Wenn es sich als Informationspool an die Spitze der technologischen Entwicklung setzen kann, wird es nicht nur für die Region und für Baden-Württemberg zu einer Plattform für digitale Innovationen aufsteigen können. Die diesbezüglichen Gespräche 1993 mit Frau Meister-Scheufelen, der Präsidentin des Landesgewerbeamts, zur Gründung der Film- und Medienbörse deuten in diese Richtung.
